Ein Abend warmen WohlklangsSamstag, 5. August 2023
»Glimpses of Beauty – Vokalmusik der Renaissance« lautet der Titel des Programms von »New York Polyphony« im Programmheft des diesjährigen Kirchenmusik-Festivals. Der erste Teil „Blicke auf das Schöne“ trifft es eher als der zweite, der primär ein reines Renaissance-Programm erwarten ließ. Das aber gab es in solcher Reinform nicht. Doch gerade dieses „nicht“, machte einen guten Teil des Reizes des von den vier Sängern zusammengestellten Programms aus. Natürlich könnte ein reines Renaissance-Programm, bestückt mit einem der großen englischen Meister dieser Zeit ein bestechender Abend sein. Deutlich reizvoller war es aber so, wie »New York Polyphony« die »Mass for four voices« von William Byrd (ca. 1539 bis 1623) mit zeitgenössischen Kompositionen unterbrach und würzte.
Wer Tage zuvor die Countertenöre Valer Sabadus und Terry Wey gehört hatte, der war vermutlich erstaunt von der völlig anderen Klang-Auffassung, die »New York Polyphony« am Freitag Abend in der Johanniskirche zu Gehör brachten. Dabei darf mensch aber nicht in den Fehler verfallen, diese beiden Klangwelten zu vergleichen. Vielmehr sind es zwei Pole der multipolaren Welt der (hohen) Männerstimmen. Beide haben ihren ganz eigenen Reiz und ihre ganz eigene Art, mit Emphase und Emotion umzugehen und damit zum Programm: Das erste Set gehörte (fast) ganz William Byrd. Am Beginn standen »Puer natus est nobis« & »Cantate Domino«. Geoffrey Williams (Countertenor), Steven Caldicott Wilson (Tenor), Andrew Fuchs (Tenor) und Craig Phillips (Bassbariton) ließen diese ersten Byrd-Klänge in verblüffender Neutralität erblühen. Dabei formten ihre von ruhigem Schönklang geprägten Stimmen eine Klang-Atmosphäre, in die mensch sich einhören musste, die aber Stück für Stück an Reiz gewann. »New York Polyphony« scheint sich hier am ursprünglichen Belcanto ohne all seine ausufernden Manierismen zu orientieren. … Vielmehr formen sie ein Klangbild voll kleiner Feinheiten und hüllen so Ton für Ton den Kirchenraum und das Publikum in einen eher hintergründigen Klang ein. Damit gelang es ihnen, die feinen kompositorischen Versetztheiten des Kyrie der »Mass for four voices« ohne großes Aufhebens kristallklar und doch warm im Raum schwingen zu lassen. So war es auch ein Leichtes, den das Gloria einläutenden Ruf wie einen Glockenschlag in den Raum zu stellen, um daraus das Text-Melodie-Gewebe des Kyries wie aus feinen Silberfäden zu weben. Wer jetzt das Credo erwartet und nicht ins Programmheft geschaut hatte, wurde überrascht. Michael McGlynns (*1964) »O pia virgo« unterbrach Byrds Messe aber in keiner Weise. Es setzte in seiner einerseits renaissance-verwurzelten, auf der anderen Seite gekonnt mit zeitgenössischen Versatzstücken spielenden Anlage einen interessanten Kontrast und war im sehr bewussten Umgang der Sänger mit den Reibungen und doch wieder deutlichen Renaissance-Harmonien auch Ergänzung zu Byrd. Paul Manz (1919 bis 2009) »E'n so, Lord Jesus, quickly come« führte in seiner choralartigen Anlage, der feinfühligen Agogik und sprechenden Phrasierung zielgerecht wieder zu Byrd und seinem Credo und dessen anschließender Fugato-Entwicklung zurück, so dass die Messe nun fast schon zwangsläufig bis zum Agnus Dei ohne weitere Einwürfe durchlaufen musste. Aber nicht, ohne mit Paul Moravecs (*1957) »The last invocation« letztendlich doch noch einmal Ton für Ton mehr der Renaissance zu entweichen und den Bezug zur Gegenwart herzustellen.
Loyset Comperès (um 1445 bis 1518) »Officium de Cruce« gab in seiner deutlich homophoneren Anlage im Vergleich zu Byrds Messe dem Ensemble Gelegenheit um Gelegenheit, in seinem Wohlklang zu schwelgen und auch das Publikum darin baden zu lassen. Wer aber von einem durchklingenden Stück ausgeht, liegt falsch, denn trotz des deutlich kultivierten Ensembleklangs hatte hier doch jeder der vier Sänger immer und immer wieder mehr als genug Raum, um seine Stimme mit ihren Feinheiten in den Vordergrund zu stellen, den Text- und Melodiefluss mal zu verdeutlichen, mal zum Gesamtklang zusammen zu führen. Anton Bruckners (1824 bis 1896) »Am Grabe« an die bisherige Stückfolge anzuschließen war mehr als kühn, in diesem Fall aber auch mehr als gelungen. Dadurch gelang es »New York Polyphony« ohne jede Umschweife aus der Renaissance in die Romantik zu switchen und dabei den gleichen, aber nicht denselben Wohlklang zu entwickeln – mehr ist dazu nicht zu sagen. Das Tüpfelchen auf dem i des Abend-Programms waren aber die vier Songs aus »The Revelers Songbook«. Für das legendäre Vorbild der Comedian Harmonists komponierte unter Anderen Irving Berlin. Sein »Don't wait too long« eröffnete den erstaunlichen dritten Block des Abends. Erstaunlich allein schon ob der erneuten Wandlungsfähigkeit des Vocalensembles. Nicht erstaunlich nach diesen vier letzten Songs war auch, dass man nicht anders als mit einem amüsierten Schmunzeln aus der Kirche ging und einem der Regen, der einen auf dem Johannisplatz erwartete, egal war. (hat) Trackbacks
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